Den Körper im Blick – 2016
Bibliothek Münstergasse Bern
In der Ausstellung geht es um Methoden der Sichtbarmachung am menschlichen Körper. Diese haben sich im Laufe der Zeit verändert und verfeinert: In der Renaissance entstanden erste Körperatlanten, in welchem der menschliche Körper nicht nur von aussen dargestellt, sondern seine Funktionsweise auch von innen erklärt wurde.
Die wissenschaftlichen Fortschritte im 19. Jahrhundert erlaubten, den Zellaufbau zu verstehen und die Entwicklung der Bakteriologie sowie das Röntgen als bildgebendes Verfahren. Die im 20. und 21. entwickelten Verfahren erlaubten, in Modellen neue Elemente der Sichtbarmachung zu entwickeln. Bahnbrechend waren beispielsweise die Beschreibung der DNA als Doppelhelix durch Watson und Crick 1953 und die vollständige Entschlüsselung des menschlichen Genoms 2004.
Gleichzeitig wurden mit der Wissenschaft auch Modelle und Theoreme entwickelt, wie das Unsichtbare zu Lehrzwecken sichtbar gemacht werden konnte. Das fing bereits mit den vereinfachten Organdarstellungen in den medizinischen Atlanten des 16. Jahrhunderts an. Fritz Kahns Darstellungen in seiner mehrbändigen Reihe «Das Leben des Menschen» (ab 1922, die bekannteste davon: «Der Mensch als Industriepalast») zeigte die Funktionen des menschlichen Körpers mit den Metaphern eines industriellen Betriebs. Bis heute werden in der Lehre, beispielsweise für angehende Ärzte, vereinfachende Darstellungen verwendet. Auch die Farbgebung der einzelnen Körperteile in diesen Darstellungen ist alles andere als zufällig.

In einer chronologischen Abfolge lässt sich in groben Zügen eine ständige Verfeinerung der Methoden beobachten, eine Verfeinerung des Blicks.
Umgekehrt bedeutet das aber auch, dass die Methoden zur Sichtbarmachung dieser neu entdeckten Sachverhalte immer wichtiger geworden sind. In der Ausstellung soll es daher darum gehen, diese Forschungen selbst vorzustellen und ihre Resultate zu präsentieren.
Ideale Körper
Wie sieht ein perfekter Körper aus? Die Ansichten darüber haben sich seit der Antike und der Renaissance immer wieder geändert. Gesellschaftliche Ideale spielen hier eine Schlüsselrolle, wie die Frage nach dem perfekten Körper überhaupt niemals losgelöst von der gesellschaftlichen Situation betrachtet werden kann. Dennoch haben sich bis heute Idealbilder von Körpern gehalten, etwa die Proportionendarstellungen von Michelangelo oder von Albrecht Dürer.
In der Ausstellung soll es darum gehen, mehrere Typen dieses Diskurses des «Menschenbildes von aussen» anhand von Beispielen zu präsentieren. Dabei ist eine Verschiebung von einem ganzheitlich ideal proportionierten Körper hin zu einem Funktionskörper zu beobachten. Ablesbar ist dies beispielsweise beim Körperbau von Sportlern, die sich einen hochangepassten Körperbau für die jeweilige Sportart antrainieren. Für heutige Sportler ist ein perfekter Körper ein Funktionskörper und nicht in erster Linie ein ästhetischer Körper. Die Spezialisierung bewirkt eine «Disharmonisierung».
Der aufgeschnittene Körper
Ab dem 16. Jahrhundert begannen Andreas Vesal und andere, den menschlichen Körper aufzuschneiden, um daraus Erkenntnisse zu gewinnen. In ihren anatomischen Darstellungen stellten sie die Funktionsweise des Körpers dar. Ihre Darstellungsform ist jedoch nicht rein medizinisch motiviert: Auch die Ästhetik der dargestellten Körper, die häufig in animierten Posen gezeigt werden, sowie die Bedeutung der verwendeten Symbole verweist auf einen grösseren Zusammenhang. Diese Art der Darstellung war bis zur Anwendung der Fotografie im 19. Jahrhundert vorherrschend, etwa bei Gautier d Agoty.
In der Ausstellung werden Raritäten aus der Sammlung der Universitätsbibliothek Bern und der Sammlung des Instituts für Medizingeschichte ausgestellt.
Der Körper unter dem Mikroskop
Mit der Anwendung des Mikroskops und später anderer Verfahren (z.B. Röntgenstrahlen, Ultraschall, Endoskopie) in der Medizin erweiterte sich das Spektrum der Körperdarstellungen. Die Forschung bezog sich nun häufig auf Prozesse und Strukturen, die unterhalb der Sichtbarkeitsschwelle des menschlichen Auges befanden. Daher wurden Darstellungen dieser Theoreme besonders wichtig. Im Zuge dieser Entwicklung fragmentierte sich der Blick auf den menschlichen Körper: Immer mehr wurden Teilbereiche gesondert dargestellt, die wissenschaftliche Medizin differenzierte sich in zahlreiche unterschiedliche Fachbereiche aus.
In zahlreichen Teilbereichen der Medizin wurden im 19. und 20. Jahrhundert Entdeckungen gemacht, die in Bilder umgesetzt wurden, etwa in der Bakteriologie. Aber auch diese Bilder blieben interpretationsbedürftig. Sie mussten in einen Kontext gestellt werden, der sie für Fachpersonen und für Laien verständlich machte.
Die Grenzen der Sichtbarkeit
Immer wieder stellt sich in den Körperdarstellungen die Frage: Was lässt sich überhaupt sehen, was lässt sich nur noch in einem Modell fassen? Manche Visualisierungen scheiterten, etwa der Versuch, innerhalb des Hirns einzelne Sektoren für die Emotionen zu identifizieren.
Der ganzheitliche Blick auf den Körper löst sich auf. Was auf den ersten Blick noch eindeutig erscheint, wird mit tieferer Forschung auf einmal unsicher, was beispielsweise mit der Geschlechterzuordnung deutlich wird: Während die Chromosomen eine eindeutige Geschlechterzuordnung zu erlauben scheinen, gibt es auf genetischer Ebene Faktoren, die diese Eindeutigkeit in Frage stellen. Daher können Bilder auch Scheinevidenzen produzieren, die sich bei vertiefter Betrachtung oder weiter fortgeschrittener Forschung relativieren.







